Teenager Trouble


Wann wird man eigentlich darauf vorbereitet, dass aus den niedlichen kleinen Pupsmäusen, gekleidet in alles, was der Markt an “hello kitty” hergibt, mit Haarschleifchen und Glitzerschühchen ein TT wird? TT – das stand mal für eine Automarke. Bei mir steht es für “Teenager Trouble”. Dabei ist meine Große noch gar kein Teenager 13, sondern gerade mal 12.

Es begann ganz harmlos: Meine Große fuhr auf Klassenfahrt, Abschlussfahrt der vierten Klassen. Am Bahnhof traf ich auf Kinder unterschiedlicher Hormonstufen: da waren die in Windjacken gekleideten, mit Rucksäcken behängten und ordentlich frisierten Mädchen, die sich brav in der Nähe ihrer Mutti aufhielten. Dazu die in modischen Kunstlederjacken oder wahlweise Nietenjeansjacken bekleideten Mädchen mit Loop (diesem komischen Schal, der nie wirklich wärmt, einem ewig Fussel in den Mund bringt und einfach nur gut aussehen soll), Handtäschchen und Handy und schon ersten Anzeichen von Lipgloss, Kajal, langen Haaren, schrägem Pony und möglichst “weit weg von Mutti” Mädchen. Die Jungs sahen alle noch so aus, als ob sie direkt vom Spielplatz gekommen sind. Da war kein modischer Unterschied erkennbar, sie rudelten in Gruppen und unterhielten sich fachmännisch über Fussball. Die Mädchen standen in kleineren Grüppchen, die sich durch Dauerkichern und Kaugummikauen auszeichneten oder eben ein bisschen blass um die Nase in der Nähe von den Muttis standen. Beim Anblick dieser Meute hegte sich ein leichtes Mitgefühl für die mitreisenden Lehrer. Meine Tochter war noch so ein “Zwischending” – zwar möglichst weit weg von mir (Mama, Du bist peinlich!! Dabei hab ich nichts gemacht!!), aber noch brav frisiert, nett gekleidet und fern von der Handymania und MP3Playerfront. Dann kam der Zug und die Kinder stiegen mehr oder weniger eilig ein. Der Zug fuhr an und dutzende Mütterhände klammerten sich am Zug fest, als fiele es ihnen schwer, die Kinder für drei Tage wegzulassen. (Dabei hatten die meisten schon prima Pläne für die freien Abende und verließen im Stechschritt den Bahnhof). Okay, das war der Abschied. Nach drei Tagen (haha, frei hatte ich ja nicht – ein Kind war ja nicht mitgefahren. Ich finde, man sollte ernsthaft einführen, dass Geschwisterkinder mitreisen dürfen. Darf man Geschwister überhaupt trennen??) kam der Zug zurück. Und brachte ein völlig verändertes Kind mit. Begrüßung? Fehlanzeige. Ihr suchender Blick galt nicht mir. Ihr Ton war der einer genervten Gouvernante, meine begeisterte Begrüßung verschluckte ich beim Blick in ihr Gesicht und beschränkte mich auf allgemeine Fragen.

Seitdem ist alles anders. Diese Fahrt war ihr Schicksal. Sie hat festgestellt, dass sie SIE ist. Sie ist eigentlich kein Mädchen mehr, sondern irgend etwas anderes. Sie hat gesehen, dass es JUNGS gibt. Und die großen Gefühle von LIEBE und LIEBE brachen über sie herein. Das hat sie natürlich nicht erzählt. Aber so rumliegende Notizzettel (ah, Erinnerungen kommen hoch: es gibt sie noch, die hingekritzelten Zettelchen aus dem Unterricht. Früher hieß das stille Post. Wer weiss – heute vermutlich Mysterie Letter) ist mal eine erste Informationsquelle (wenn ich ihr Geschreibsel mal entziffern könnte!!). Scheinbar gab es einige ernsthafte “Beziehungen” auf dieser Fahrt. Und auch meine Tochter machte aus ihren Gefühlen keinen Hehl und hat dem Auserwählten ihre Liebe gestanden (Respekt, dass hab ich erst weit über 20 hinbekommen!). Scheinbar war dem hormonlosen Jungen das recht, denn er schien sich gegen die Übermacht der Gefühle nicht gewehrt zu haben.

Damit fiel eine Veränderung über sie: fortan darf niemand das Bad betreten, wenn sie drin ist (umgekehrt fühlt sie sich über solche Vereinbarungen natürlich erhaben. Wenn Madam Eintritt wünschen, dann geht Madam hinein!!). Ausserdem unterwirft sie mich einem strengen Modediktat. Eigentlich bin ich für alles zu alt – dankbar, dass mir wenigstens meine eigene Haut geblieben ist, verkneife ich mir dazu Anmerkungen. Kurze Röcke für mich? In meinem Alter?  Schuhe mit Absatz?  (Hat Tina Turner nicht noch mit weit über 60 enge Lederminis getragen? Und zwar ohne von der Tochter gesteinigt zu werden??). Jeans ja, aber nur, wenn sie ihr nicht passen (sie hat etwas zugelegt und passt in meine Hosen rein. Zum Glück nur in die, die mir sowieso beim Waschen äh eingelaufen sind…). Farben? Schwarz? Zu rockig. Weiß? Mama, willst Du heiraten?! Gelb? Rosa? Blau? Ich glaube, ein dezentes Beige-grau geht noch. Meine “Rettung” war eine Mitschülerin, die mein Trotzoutfit (Jeans, pinkfarbenes Glitzershirt und Pumps) als Cool eingestuft hat. Damit war das genehmigt.

Vor jedem gemeinsamen Verlassen der Wohnung verfolgt mich ihr abschätzender Blick. Manchmal fühl ich mich, als wäre Anna Wintour im Haus. Dabei läuft sie selbst herum, dass man ihr wohlwollend eine Farbenblindheit unterstellen könnte. Ein wilder Mustermix je nach Lust und Laune. Gern figurbetont, weil sie ihre Lieblingssachen aus zwei Kleidergrößen vorher noch gerne trägt. Oder auch ein Mix aus Sommer- und Wintersachen. Schal? Im Winter? Warum eigentlich? Ist sie dann erkältet, bin ich schuld. Keine Ahnung warum, aber ich bin sowieso meistens schuld. Zum Glück teile ich das Schicksal mit den Lehrern (der mag mich nicht) und ihren Freundinnen (die zickt nur herum), ihrem Bruder (das “es”) und allen anderen, die Madam in die Verantwortung nimmt.

Dann hat sie das Duschen fast völlig eingestellt. Seit der Entdeckung des Deorollers wird alles als unnötige Zeit (und WASSER-!!) verschwendung abgetan. Dafür hat sie mit ihrem Deospray sicherlich ihr eigenes Ozonloch geschaffen und sorgt dafür, dass morgens (oder abends!! Für wen dieselt sie sich abends ein? Für den Sandmann?) niemand NACH ihr ins Bad gehen kann, weil die Gase erst langsam ablüften müssen. Ihren eigenen Müffelgeruch nimmt sie gar nicht wahr (wenn ich das mal von mir sagen könnte!! ich möchte blind an der Nase werden!!) – ihr übelst süßliches Parfüm dagegen wird als blumiger Duft wahrgenommen.

Sie nimmt noch gelegentlich an gemeinsamen Mahlzeiten teil, wobei es ein Lieblingsessen nicht mehr gibt. Was heute noch “lecker” war, ist morgen vielleicht schon ein Grund, auszuflippen. Tischgespräche beschränken sich auf ein “Guck nicht so blöd” zu ihrem Bruder oder ein “weiss ich nicht” oder auch “sprich mich nicht an” zu mir. So müssen sich Bombenentschärfer fühlen, die ihren Job ausüben: ständig in Gefahr, dass der Sprengstoff explodiert und stolz, wenn sie wieder einen Tag überlebt haben.

Ganz selten blitzt ein Stück von der tollen Tochter durch, die ich mal kannte. Dann lacht sie und scheint völlig unbeschwert zu sein. Dann bin ich die “beste Mama von der ganzen Welt”. Ich gebe zu, ich hoffe, dass diese Momente irgendwann wieder dominieren. Oder dass die Ausserirdischen mir mein nettes Kind wiederbringen. Ich weiss auch nicht, wie es anderen Müttern geht. Wenn wir uns sehen, schwärmen wir uns gegenseitig von der Selbständigkeit, den guten Noten (fast alle hochbegabt!!), den sportlichen Erfolgen und dergleichen vor. Ganz selten seufzt mal eine Mutti, hat sich dann aber schnell wieder unter Kontrolle.

Der Klassenlehrer meint, in Klasse 9 würde sich das normalisieren. Sie ist gerade in Klasse 6…

Vielleicht gibt es dafür Globuli. Oder Mütterheime für gestresste Teenager Mütter. Meine eigene Mutter hat mir übrigens erzählt, dass ich als Kind genauso war. Das glaub ich nicht. Daran könnte ich mich erinnern ;-)