Interviews mit Netzwerker*innen
VAMV
Hier teilen Alleinerziehende ihre Erfahrungen zum Thema Vernetzung: Was hat mich motiviert? Wie bin ich es angegangen? Was klappt gut? Wie kann ich Herausforderungen überwinden? Kurz: Inspiration zum selber loslegen! Viel Spaß beim Lesen!

No. 1: Sabine Christel

 

Kontakt:
www.Sabine-Christel.de / Sabine.Christel@yahoo.de
Was hat Dich motiviert, aktiv zu werden?
Ich fühlte mich vor Ort isoliert. Wenn man nicht mehr arbeiten gehen kann ist es sehr schwierig, regelmäßige Kontakte zu haben oder neue Menschen kennenzulernen. Über die Kinder (Schulen oder Kindergarten z. B.) sind mir vorwiegend Frauen begegnet, die einen Mann hatten. Ich habe mich geschämt zugeben zu müssen, dass ich plötzlich nicht mehr gefragt war, alleinerziehend bin. Wer will schon gern sagen, dass er einsam ist? Das will niemand hören. Es schreckt manche Leute ab. Also habe ich anfangs gesagt, mein Mann würde woanders arbeiten. Mütter ohne Partner werden leider oftmals gesellschaftlich ausgeschlossen. Und teilweise ist es auch schwierig, Kinder und Privatleben zu organisieren. Dann wurde mir in einer Krabbelgruppe eine andere AE zugeführt. Wir hatten – bis auf unseren Beziehungsstatus – null Gemeinsamkeiten. Das ist so, als ob man plötzlich gar keinen Anspruch mehr an Kontakte und Freundschaften stellen kann („Sei doch froh, dass Du jemanden hast, der so ist wie Du“).
Ich wollte endlich wieder mehr sein, als nur ein Beziehungsstatus. Ich wollte wieder als ICH wahrgenommen werden. Das hat mich motiviert.
Es muss doch noch mehr von meiner Sorte geben. So wurde ich aktiv.
Wie sieht dein Netzwerk aus? Wer ist Teil davon? Trefft ihr euch regelmäßig?
Mein Netzwerk vor Ort sind Mütter aller Art (Liiert, Single, egal) – wir treffen uns alle vierzehn Tage zum Frühstück. Tauschen uns aus, reden, lachen, lästern. Wer nicht kann, muss nicht absagen; wer neu dazu kommt ist herzlich willkommen. Ein Selbstläufer, der sich durch Mund-zu-Mund-Propaganda fortgesetzt hat. Gestartet durch einen simplen Aushang im Kindergarten. Dann: meine Singlemoms im Internet. Die „Summis“ und die „Amus“ (SingleÜber35 und AlleinerziehendeMütter). Die
Gruppen existieren auf Facebook. Wir sind bewusst klein geblieben, damit wir auch wissen, mit wem wir es zu tun haben. Wer in die Gruppe möchte, muss mindestens mit einer Mutter aus der Gruppe befreundet sein. Leider gibt es in den großen Gruppen oft Stalker und Leute, die für Unfrieden sorgen. Von daher bleiben wir auf Augenhöhe und schützen uns so. Wir freuen uns natürlich, wenn neue Mütter dazukommen. Manchmal wechselt eine Mutter, weil sie andere Interessen entwickelt hat oder sich ihre Lebenssituation verändert. Wir sind ja nicht nur in den Gruppen, sondern auch privat miteinander vernetzt – entweder, über Facebook oder eine Handygruppe oder schlicht über das Telefon. Von daher bleiben wir uns auch ohne Gruppe erhalten. In den Gruppen schreiben wir offen über alles – von unseren Schicksalen wie Kindesentführung und schwerwiegenden Problemen mit dem Expartner über Liebeskummer bis hin zu Pubertätsproblemen und Erziehungstipps ist alles dabei. Mit einigen telefoniere ich oder wir treffen uns mal. Sie sind mir absolut vertraut, es vergeht kein Tag, an dem wir nicht in Kontakt sind. Eine Mama hat sich mal bei mir bedankt, dass ich sie so gut durch die Trennungsphase begleitet habe. Das hat mich sehr berührt. So wichtig sind wir uns also. Da gibt’s auch keinen erhobenen Zeigefinger oder Zickenterror – wenn wir doch alle in einem Boot sitzen, dann müssen wir auch zusammenhalten. Wir unterstützen uns gegenseitig. Das ist fast wie eine große Familie. Und wir tun uns gut.
Wie bringst du dich aktuell in dein Netzwerk ein? Wieviel Zeit investierst du regelmäßig?
Täglich, Zeit ist relativ. Mal sehr viel, mal nur ein „Hallo“. Als Admin versuche ich, bei Problemen zu helfen. Ich habe auch eine Datei, auf der sind Anlaufstellen wie VAMV, Beratungsstellen, etc. Ich stehe jeder Frau zur Verfügung, die reden möchte, auch nachts, egal wann. Wir haben zudem zwei Handygruppen, damit wir auch unterwegs in Kontakt stehen. Dann gibt es über meine Bücher Leserbriefe – teilweise mit Fragen. Die versuche ich zeitnah zu beantworten. Und auch den vorwiegend AE Müttern Anlaufstellen oder Gruppen – gerade in den sozialen Medien – vorzuschlagen. Auch hier suchen die Frauen Anschluss, wissen nicht, an wen sie sich wenden sollen. Vielen ist erst durch das Buch oder den Berichten darüber in den Medien bewusst geworden, dass sie nicht allein sind mit ihren Sorgen und dem Gefühl, isoliert zu sein, irgendwo gesellschaftlich eine Nische zu bilden. Habe ich die Chance auf ein Interview, verweise ich immer darauf, dass die Mütter (und Väter) sich vernetzen sollen.
Wer ist denn der perfekte Ansprechpartner für Probleme mit Kindern, mit dem Leben als Alleinerziehende, wenn nicht Mütter/Väter und Alleinerziehende? Vernetzen, sich füreinander einsetzen, aktiv sein, das ist wichtig.
Ganz konkret: Wie bist du die Netzwerkgründung angegangen? Wo hast du Mitstreiter*innen gefunden?
Siehe oben. Ich kam aus einer Singlemomgruppe, habe daraus, als sie aufgrund von Zickereien zerbrach, eine eigene gegründet. Ich habe im Internet in diversen Foren die Gruppe vorgestellt. So kamen immer mehr Frauen zusammen. Neue Frauen kommen durch Freundinnen dazu. Oder man liest voneinander auf verschiedenen Seiten, freundet sich an. Außerhalb des Internet habe ich mich durch Aushänge vernetzt. Überall, wo sich Mütter aufhalten, habe ich einen Aushang gemacht. Kindergarten, Schule, Kinderarzt, Gynäkologe... Da haben Frauen Zeit und da sind eben Mütter. Nicht jede traut sich zuzugeben, dass sie Kontakte sucht. Aber es fanden sich immer mehr. Nicht mit jeder Mutter hat man sofort guten Kontakt. Manchmal vermittle ich nur weiter oder es verläuft sich. Aber oft ergeben sich neue Kontakte. Ein Kontakt kann weitere folgen lassen. Auf diesem „Schneeballprinzip“ baue ich.
Was hat bei der Vernetzung besonders gut geklappt?
Humor. Je humorvoller ich geschrieben habe, desto mehr Rückmeldungen gab es.
Gab es auch Herausforderungen? Wie bist du damit umgegangen?
Ja. In den Gruppen gab es Frauen, die persönliches gegen mich verwandt haben. Das war sehr verletzend und hat mich schon „umgehauen“. Dass Frauen sich gegenseitig beleidigen und denunzieren, wie schnell die Netikette vergessen und wie zickig oft miteinander umgegangen wird. Dass es Mütter gibt, die auf andere Mütter herabsehen. Dann macht die Gruppe keinen Sinn, das spaltet und bringt Unruhe. Deshalb ist die erste Aufgabe immer darauf zu achten, dass man sich mit Höflichkeit und Respekt behandelt und das man sich immer wieder bewusst macht, dass wir doch die gleichen Motive haben. Auch in der Frühstücksgruppe im „real life“ gab es Frauen, die plötzlich die Gruppe ändern wollten. Da muss man höflich bleiben, auch wenn es schwer fällt und immer die Regeln, die leider sein müssen, klar stellen. Bei den Regeln gilt, weniger ist mehr. Im Internet kommt noch das Problem von Fakeprofilen hinzu. Schleicht sich ein Exmann oder ein Stalker ein? Wenn Profile keine Fotos zeigen ist das schwer herauszufinden. „In dubio pro reo“ – erstmal vertrauen und abwarten. Niemanden vorschnell verurteilen. Manche Frauen brauchen ihre Zeit, bis sie sich öffnen.
Was ziehst du aus deinem Netzwerk? Wie wirkt sich die Vernetzung auf deinen Alltag(und auf den deiner Kinder) aus?
Unglaublich viel. Kontakte sind wichtig. Warum sind viele Frauen ausgebrannt? Weil ihnen jemand fehlt, der sagt: „Hey, das wird schon wieder. Das kenne ich auch.“ Einfach zuhören. Nicht bewerten. Und dann: Tipps, Ratschläge zu diversen Themen, alles zum Thema Kinder und Erziehung – die Mütter sind die wahren Experten. Meine Kinder profitieren davon, weil ich das, was ich vorschlage („Mädels, habt mehr Humor!“) auch zu Hause anzuwenden versuche. Du hast ja sonst niemanden, mit dem Du über die Kinder oder die Erziehung reden kannst. Und wenn Du diese Gruppen hast, dann ist es ein Trost zu sehen, bei anderen ist es auch so (oder schlimmer!) und dann kann man vieles entspannter betrachten.
Der Druck perfekt sein zu müssen, keine Fehler machen zu dürfen, wird genommen. Ich habe immer einen Ansprechpartner, kann Entscheidungen diskutieren, wir tauschen uns aus, unterstützen uns.
Das, was uns im Alltag zu Hause fehlt, die Möglichkeit, der direkten Kommunikation, ersetzt dann das Netzwerk.
Ein besonderes Erlebnis ist mir in Erinnerung geblieben: Eine der Singlemoms aus der Gruppe hatte eine schwere und gefährliche Operation. Wir wussten das. An dem Tag, als sie im OP war, haben wir alle in der Gruppe einen Text oder einen Gruß oder einfach nur ein Herz geschickt. Und haben gemeinsam an sie gedacht. Als sie nach der glücklicherweise überstandenen Operation nach langer Zeit wieder online war, haben wir den Kommentar ergänzt, damit sie ihn als erstes lesen konnte. Sie war sehr gerührt und hat sich gefreut. Auch sie hat vor der Operation an uns gedacht und wusste, dass wir auch an sie denken. Eigentlich fremde Menschen aus dem Internet und doch war das ein schönes Gefühl von Gemeinschaft. Auch solche Momente gibt es.
Welche Tipps willst Du Alleinerziehenden, die ein Netzwerk starten wollen, mit auf den Weg geben?
Entspann Dich. Was sind Deine Interessen? Was suchst Du? Überlege, was Du schreibst, das Internet vergisst nichts. Schütze vor allem Deine Kinder, hier geht es in erster Linie um Dich. Wäge ab, wieviel Du von Dir preisgeben möchtest. Vertraue auf das „Schneeballprinzip“: ein Kontakt zieht weitere Kontakte nach sich. Gib in den Suchfunktionen ein, was Du suchst. Schließe Dich Gruppen in den sozialen Medien an. Dann: zeig Humor. Welche Art von Anzeige würde DICH ansprechen? Danach formuliere. Stell Dich in den Gruppen vor. Sei offen – nicht jeder Kontakt funktioniert. Aber vielleicht kennt der andere jemanden...? Nutze Google und andere Suchmaschinen, nutze das Internet. Es gibt immens viele Gruppen nach Themengebieten (Singles über 30/Singles aus NRW/Singles suchen Kontakte/kleine Gruppen/große Gruppen/Themen: Trennung/Pubertät/Erziehung/Erfahrungen mit... alles ist im Angebot.
Außerhalb des www: Mach Aushänge dort, wo Du bist. Nicht jede Mutter ist eine Singlemom, aber vielleicht habt ihr gemeinsame Interessen? Das verbindet. Oder mach einen Kurs – Volkshochschule: Du wolltest immer mal Nähen lernen? Super. Melde dich an. Dort triffst Du Leute, die das auch möchten. Schon habt ihr ein Thema. Es reicht vielleicht nur für einen Kaffee nach dem Kurs? Egal, Hauptsache neue Kontakte, Hauptsache Du kommst mal raus. Reden ist so wichtig. Wir brauchen das Gefühl wahrgenommen zu werden.
Das kleinste Netzwerk sollte die Familie sein. Dann die Umgebung (Freunde, Bekannte, Kollegen, Nachbarn, andere Eltern, etc.) bis hin zum großen Netzwerk dem www. Dort eröffnen sich viele Möglichkeiten Menschen zu finden, die einem weiterhelfen (Umzug, Nachhilfe, gemeinsamer Sport, etc.), die einem zur Seite stehen, mit denen man sich austauschen und in Kontakt stehen kann. Wichtig ist es, offen zu bleiben, mutig zu sein, ehrlich zu sagen, was man sucht und kreativ und innovativ zu agieren. Und Humor, aber das ist ja klar!
Vielen Dank!