Die erste Liebe



Meine erste Liebe war nicht meine erste Liebe. Also ich war sicherlich schon vorher mal verliebt, aber das war die Liebe, in der ich das erste Mal die Sehnsucht spürte, mit einem Menschen zusammen sein zu wollen. Dieses Gefühl, das könnte der Mensch sein, den ich auch am Ende meines Lebens noch als richtig und gut ansehen würde.

Wir begegneten uns an meinem Arbeitsplatz: ich war im Bereich Empfang und Verwaltung in einem privaten Seniorenheim tätig. War dort Abteilungsleiterin und auch zuständig für die Einteilung von Aushilfen. Diese kamen, um z. B. in der Pflege zu helfen, den Hausmeister zu unterstützen oder den älteren Damen und Herren beim Einzug behilflich zu sein.

Eines Tages stand er vor mir: mein Traummann! Leider bemerkte er mich nicht sofort, sondern trug sich an der Anmeldung in eine Liste ein. Von da an ist er mir immer wieder über den Weg gelaufen. Er war ziemlich arrogant (anscheinend ein wichtiges Kriterium für mich oder eine Herausforderung!) und ließ mich spüren, dass er sich für etwas besseres hielt. Er war Jurastudent und half in der Freizeit und in den Semesterferien aus. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder (deutlich freundlicher) und einem Freund (auch sehr nett). Nie sehr überzeugt von meinen äußerlichen Qualitäten setzte ich einiges daran, so attraktiv wie möglich zu wirken und verbrachte von da an viel Zeit vor dem Spiegel und bemühte mich, im so oft wie möglich über den Weg zu laufen. Damit er nicht sofort bemerkt, dass ich lichterloh für ihn brannte, zeigte ich ihm oft genug die “kalte Schulter” (schließlich sollte er durchaus das Gefühl haben, mich erobern zu können!) und war ziemlich schnippisch. Leider ticken Männer ja oft etwas kompliziert und er hielt mich von da ab für die Oberzicke vom Dienst. Es wird mir wohl für immer unverständlich bleiben, warum Männer nicht begreifen, dass eine “kalte Schulter”, ein schnippisches Auftreten und ein abweisendes Verhalten von einer Frau in bestimmten Situationen durchaus ein Hinweis für den Mann sind, sich etwas freundlicher um die Frau zu bemühen. Frauen wissen doch auch, das Männer erobern wollen, wie sollen sie sich also anders verhalten?

Er hats also nicht geblickt. So schlichen wir umeinander herum, beide nicht gerade nett zum anderen und er hatte zudem noch Verstärkung durch seine beiden Begleiter. Er hatte eine etwas zynische Art an sich (Skorpion) und ich war ein ziemlich sturer Typ (Steinbock) – es knallte also immer mal wieder zwischen uns.

Bis zu dem einen Abend – da war eine Party im Seniorenheim, gesponsert von den Bewohnern. Alles, was wir jemals an Trinkgeld bekommen hatten, wurde in einen Topf geworfen und ab und zu wurde davon eine Party veranstaltet. So auch an diesem Abend.

Ich kam verspätet und begegnete ihm auf dem Flur. Ich hatte alles an mir, was ging: Glitzermini, hohe Absätze und obenrum mindestens eine halbe Flasche Haarspray. Dazu alle Farben meiner Lidschattenbox und eine Menge Parfüm. Ich war ganz aufgedreht und warf ihm eine Kusshand zu. Und er ging darauf ein und fordert mich auf, ihn “richtig” zu küssen und nicht nur die Luft zwischen uns. Nun, so fing es an. Dieser Mann konnte Küssen, wow. Ich war ab da in einem rosaroten Nebel und bekam vom Abend nicht mehr viel mit.

Kleiner Fehler am Rande – er wollte meine Telefonnummer und ich sagte, die stünde ja auf der allgemeinen Telefonliste. Was so nicht stimmte, denn meine Nummer stand nur auf der Liste, die in meinem Büro hing, aber ich dachte, wenn er Interesse hat, wird er sie schon finden. Leider fand er sie nicht und so saß ich das restliche Wochenende umsonst am Telefon.

Am darauffolgenden Montag hatte ich mit der Häme und dem Spott der Kollegen zu tun, die unsere Liebelei mitbekommen hatten und je nachdem, wie wohl sie mir gesonnen waren, musste ich mir anhören, wie peinlich es war und das er ja mit jeder was anfangen würde, ich solle mir da nur nichts einbilden.

Unsicher, wie ich ja war, versteckte ich mich gleich wieder hinter meinem Panzer der Unnahbarkeit und sah der nächsten Begegnung mit sehr gemischten Gefühlen entgegen. Und als er dann endlich wieder zu einem Einsatz kam, zusammen mit seinem Bruder, war ich sehr abweisend und arrogant. Und er war auch nicht anders. Heute denke ich, wie blöd. Damals wusste ich mir nicht anders zu helfen. Irgendwann zwischen Tür und Angel habe ich ihm mal in einem Nebensatz gesagt, wie doof ich das fand, das er nicht angerufen habe. Woraufhin er mir sagte, ich hätte ihm ja meine Nummer nicht gegeben und da sei ja sehr deutlich gewesen. Mehr wurde nie darüber gesprochen.

Seine Einsätze wurden seltener, weil sein Studium ihn sehr in Anspruch nahm und nach einem Jahr wechselte ich in eine andere Firma. Wir sind uns danach noch ungefähr zweimal zufällig über den Weg gelaufen. Aber wir haben nicht die Chance genutzt, uns mal ohne Fassade zu begegnen. Manchmal träume ich noch von ihm und stelle mir vor, was gewesen wäre, wenn ich mich einfach überwunden hätte, um ihm zu sagen, was ich wirklich für ihn empfinde und hätte zudem ohne Rücksicht auf meinen Stolz meine Gefühle gezeigt.

Manchmal ist der Weg zueinander so leicht und obwohl man erwachsen ist, scheint er unüberwindlich. So verbinde ich auch nach so vielen Jahren immer meine erste Liebe mit diesem wunderbaren Mann…