Herbst

 

 

Früher war Herbst eine Jahreszeit, in der ich gern mit dickem Pulli durch den bunt gefärbten Blätterwald gestiefelt bin, habe mich danach zu Hause auf dem Sofa gemütlich vor den Fernseher gesetzt, alte Videos geschaut, heissen Tee getrunken und selbstgebackene Kekse geknabbert. Es war auch die Zeit, in der man morgens früher los musste, weil die Autoscheiben erstmal freigekratzt werden mussten, man sich auf heisse Suppe und ein Schaumbad gefreut hat, wenn man zu Fuß vom Büro nach Hause gelaufen ist. Alles das war Herbst.

 

Seitdem meine Kinder da sind ist der Begriff Herbst mit so vielen Dingen verbunden: mit Erkältungen, die irgendwann im September beginnen und im April so langsam ausklingen. Unmengen von Taschentüchern, die vollgeschnupft in den Ecken herumliegen und die ich entsorgen darf. Nebelige Nächte, die ich mit einem Pseudokrupphustenden Kind draussen verbracht habe und so erstmalig gesehen habe, wie viele Mäuse und Igel doch in unserer Straße wohnen. Ich habe viel Zeit beim Notdienst im Krankenhaus verbracht, weil gerade kleine Kinder gern in der Zeit von Freitagabend bis Montagmorgen krank werden. Ich habe im Blick, welche Apotheke Wochenenddienst hat und ich bin firm in der Packungsbeilage diverser Hustenmittel. Ich kann aus dem Eff-Eff- Hustensaft und Ohrenwickel zubereiten, ich habe die softigsten Kindertaschentücher auf Lager und bin dankbar, dass wir zwei Toiletten haben. Ich glaube sogar, ich war als Kind nie soviel erkältet wie zu der Zeit, in der ich selbst Kinder bekommen habe. Zumindest fällt mir spontan kein Winter ein, in dem ich nicht mit dickem Schal und roter Schnupfennase durch die Wohnung geschlichen bin, um meinen Kindern Tee, heisse Suppe oder neue Taschentücher zu bringen und in dem ich mir viel kränker vorgekommen bin, aber die einzige war, die keine strenge Bettruhe halten durfte. Während meine Kinder schon längst wieder vor dem TV saßen und in kuschlige Decken gehüllt an Hustenbonbons geluscht haben, habe ich das Gefühl gehabt, das Ende naht, nur blieb vor lauter Arbeit keine Zeit, sich in die ewigen Jagdgründe zu begeben. So bin ich dann auch irgendwie wieder gesund geworden. Besuch ist in der Zeit übrigens selten, weil sich ja niemand anstecken will. Harhar.

 

Aber der Herbst hat natürlich auch noch andere Seiten: so gehören die wunderbaren Laternenumzüge auch dazu, die gern von Kindergarten oder Schule organisiert werden. Sie beginnen mit doch eher etwas langweiligen Bastelnachmittagen, wo man schöne Lampions aus Pappe und Buntpapier bastelt (die in meinem Fall höchstens die ersten Meter des Umzugs überlebten, weil ich keine Bastelqueen bin), dann muss man das Gedöns nach Hause schleppen, um es zum Laternenfest stolz zu präsentieren. Diese Feste zeichnen sich dadurch aus, dass es leider keinen Alkohol gibt, sondern man sich an heissem Früchteteegemisch und Keksen, sowie den ewig angebotenen Würstchen und Saft laben darf, um dann - im besten Fall - hinter einer Blaskapelle herzulaufen und "Laterne, Laterne..." zu singen.

Meine Kinder haben sich früh ausgeklingt: meine Tochter hatte nie Lust diese schwere, weil selbstgebastelte Laterne zu schleppen und mein Sohn war viel zu fasziniert von der Feuerwehr (die ja aus Sicherheitsgründen dabei ist, falls aus den Laternen doch ein Großfeuer wird, was leider zum Bedauern meines Sohnes nie der Fall war). Nach ungefähr drei Stunden darf man dann wieder nach Hause.

 

Meine Kinder waren auch nie so die Laternenfesttypen. Meine Tochter isst keine Wurst und wollte lieber Pommes mit Mayo haben. Mangels Angebot sank die Stimmung sehr schnell . Mein Sohn mag gern Wurst, war sich aber nicht sicher, ob das Fest ihm zusagt. Also ist er die ersten zwei Stunden quengelnd herumgelaufen, hat lieber geschaukelt und geklettert, anstatt lustige Spiele aus dem Kiga mizumachen und erst zum Ende hin, hätte er sehr gern auch die Vorlesegeschichten gehört oder ein Würstchen gegessen. Demzufolge hätte er bereits zwei Stunden vorher dorthin gemusst, damit er pünktich zm Festbeginn vorgeglüht wäre.

Ich saß gern mit den Laternen auf harten und kalten Steinbänken und habe abwechselnd heisse Würstchen und Saft gehalten, Ketchupschnäbel abgeputzt und mich auf meine heisse Badewanne zu Hause gefreut.

Beim eigentlichen Umzug musste ich die von mir! selbstzusammengefummelten Laternen schleppen und gesungen habe ich auch alleine - sofern es sich um die Standardtexte gehalten hat. Gern hat der Kindergarten aber moderne Kompositionen eingeführt, deren Texte samt Melodie mir gänzlich unbekannt waren. Da es den meisten Eltern so ging, wurden vorab Liedzettel herumgereicht. Im Funzellicht der Laterne konnte ich den - zumal beim Laufen!! - nicht entziffern, so dass ich gesanglich auch nichts beisteuern konnte. Es waren auch leider niemals so richtig heisse Feuerwehrmänner dabei (wie im Fernsehen bei "Alarm für Cobra 11" oder "Backdraft"), so dass der Abend alles in allem eher unterhaltungstechnisch schlicht war.

Trotzdem wurde jedes Jahr von neuem alles an Laternenumzügen mitgemacht, was geht. Und die Laternen fristen seitdem ein staubiges Leben auf unseren Schränken (sofern sie nicht doch beim Umzug sich in diverse Einzelteile zerlegt haben - was leider auch mal der Fall war).

 

Zum Herbst gehören für hormonell ausgeglichene Menschen natürlich auch Mütze und Schal, sowie langärmlige Shirts und Pullover, was jeden Morgen zu Diskussionen mit meinem Pubertier führt, weil sie der Meinung ist, dass Tshirts einfach cooler sind und Mütze tragen "out" sei. Da friert sie lieber und holt sich einen dicken Schnupfen. Dann muss ich sie wieder zum Arzt schleppen, weil sie sich sehr lange weigert, heissen Tee und Halswickel zu nehmen und lieber wartet, bis der Husten dazukommt und ihre Stimme wegbleibt (was durchaus angenehme Seiten für die Mitbewohner hat). Beim Arzt sitzt man dann in einem absoluten Virenhoch und kann froh sein, wenn man zu der eigenen Sache, nicht noch drei neue mit nach Hause schleppt.

Die Einsicht, dass dicke Jacken und Pullis zum Herbst gehören hält dann über die Genesungsphase an, verfliegt aber, sobald der Schulalltag wieder beginnt. Da stehen dann die frierenden Mädels in ihren dünnen Jäckchen und mit roten Nasen und kommen sich unglaublich cool vor - was sie ja im übertragenen Sinn sogar sind - richtig tiefgecoolt ;-)


Auch mein Herr Sohn ist der Meinung, Winterschuhe ja, aber die Einen sind zu GROSS und die Nächsten sind zu KLEIN und die hier DRÜCKEN OBEN und die HABEN EINE SCHLEIFE und die SIND NICHT BLAU und die BLINKEN NICHT und die HABEN EINE ZU DICKE SOHLE, DA MUSS ICH IN DER SCHULE IMMER DEN DRECK WEGFEGEN und die SIND NICHT WASSERDICHT und die blablabla.... Und er muss mindestens zwei Paar haben, weil eins immer nass ist (trotz Goretex und Imprägnierspray) und das Trocknen so lange dauert. Er kann auch an keiner Pfütze vorbeigehen, so dass der Herbst auch mit vielen nassen Hosen, nassen Schuhen, nassen Gummistiefeln, nassen Jacken, nassem Schal und dergleichen verbunden ist und wir sehr viel Badewasser brauchen, weil er gern bis hinter die Ohren mit Schlamm und Matsch beschmiert ist. Das ruft dann wieder Diskussionen nach dem Grund des täglichen Waschens hervor, denn er ist der Meinung, dass es reicht, abends zu waschen und morgens ist nicht nötig, weil er nachts ja nicht im Matsch war. Außerdem reichen die Hände völlig aus, der Rest wird eh sowieso wieder schmutzig und man isst ja nur mit den Händen. Klingt logisch, gell?


Die Frage stelle ich mir allerdings auch beim herbstlichen Hausputz, weil - kaum das ich mit Fegen und Wischen fertig bin - sowieso wieder irgend jemand mit schmutzigen Schuhen durch die Gegend gerannt kommt und mit einem "Oooopsi" der eigenen Dreckspur nachgeschaut wird.

 

Entspannte Abende im heissen Schaumbad entfallen heutzutage meistens, weil ich dann, wenn endlich Ruhe ist, selbst schon schlafe und vorher nutzen meine Kinder gern die Gelegenheit, vor der Badezimmertür Ringkämpfe auszutragen, sich gegenseitig anzuschreien und mich mit anderen Dingen aus der Wanne zu locken. Da bringt das tollste Entspannungsbad null.


Auch gemütliche Abende vor dem Fernseher mit Tee und Gebäck sind eher die Ausnahme, es sei denn, ich stehe auf "Asterix" und "Star Wars" Filme, die gern Freitagabend geendet werden und bei denen meine Kinder der Meinung sind, nun ist IHRE Fernsehzeit. Natürlich setze ich mich auch mal durch und sehe MEIN Fernsehprogramm. Allerdings ist das dann so, als ob ich in der Wanne sitze: vor der Wohnzimmertür findet ein zwei-Personen-Stück statt mit dem Titel: "Wie bringe ich Mama dazu, umzuschalten, damit ich gucken kann?"

 

Das morgendliche Aufstehen im Herbst ist auch nicht so der Burner. Es ist kalt, es ist dunkel und Schulkinder fallen gern ab September in einen Winterschlaf. Es ist sehr mühselig sie aus dem Bett und dann noch schlimmer aus dem Haus zu bekommen. Fühle mich dann zeitweise wie die Mutter von Hänsel und Gretel, die ihre Brut in den fiinsteren Wald schickt, zumindest vermitteln mir das meine Kinder. Dabei mache ich es morgens sogar gemütlich: mit heisser Milch und Kerzen und zum Schulbrot gibts die ersten Kekse und Mandarinchen. Aber um diese Zeit ist noch keine Stimmung bei uns zu Hause. Im Gegenteil, mein Sohn prokelt gern an der Kerze herum, mein Pubertier muffelt in seine Cornflakes und muffelt über die doofe Mama, die einem einen idiotischen Schal und Mütze aufdrängt und ab jetzt müssen wieder Unterhemden getragen werden.

 

Dafür ist es abends auch möglich, die Kinder direkt nach Sonnenuntergang davon zu überzeugen, dass es schon unglaublich spät ist und und der Sandmann macht sich auch endlich wieder früher auf die Reise. Leider habe ich nicht soviel davon, denn auch bei mir lösen abendliche Beleuchtung und kühle Luft Müdigkeit und ein Schlafbedürfnis aus, so dass ich auch früher einschlafe und mein Abend ungewollt kurz wird. Vermutlich stammen wir alle von Winterschläfern ab und kommen erst zum Frühjahr wieder aus unseren Höhlen geschlüpft.

In diesem Sinn: eine schöne Herbstzeit!