Das Morgengrauen

 

 

 

Morgens beginnen für mich genau 60 Minuten, in denen ich versuche, beide Kinder pünktlich, sauber und verfrühstückt auf den Weg zu bringen, damit sie ihre Bildungscentren erreichen.

 

 60 Minuten, die einen an den Rand des Wahnsinns treiben können. Wie schaffen das Großfamilien? Ab und zu zappe ich im Fernsehen bei den Flodders oder wie diese Familien heißen, mit den unglaublich vielen Kindern und den noch schwierigeren Namen, die ich mir als Zuseher nicht mal merken kann (und auch nicht will). Die Mutter wirkt tiefenentspannt, die Brut hilft sich gegenseitig und nur mir brechen allein vom Zusehen schon Schweißperlen aus. Im Prinzip kann ich also dankbar sein, dass ich nicht 12, sondern 2 habe, aber irgendwie schaffen es zwei durchaus, sich auf gefühlte vier zu verdoppeln.

 

Der Tag beginnt harmlos: ich stehe morgens auf, da ist es noch sehr früh, fast noch dunkel, schlüpfe in meine Sportsachen und mache erstmal ne Runde Qi Gong.

 

 Danach knipse ich das Licht bei den Kindern an. Jalousien hoch, schon mal frische Luft reinlassen, damit die Kinder laaangsam und in Ruhe aufwachen können.

 

Während ich in der Küche liebevoll den Tisch decke und Brezeln backe, die ersten Vöglein harmlos zwitschern, bricht über mich die Welle herein: Das Pubertier ist wach! Meine Tochter springt mit einem entsetzten Schrei aus dem Bett: „WARUM HAST DU MICH NICHT FRÜHER GEWECKT?! ICH MUSS NOCH HAAREWASCHEN!!“ Eigentlich erfolgt der ganze morgendliche Dialog von ihr in Großbuchstaben. Normal ist ja eh selten bei dieser Spezie, aber morgens höre ich sogar das Ausrufungszeichen an jedem ihrer Sätze.

 

 So auch jetzt: Fakt ist – sie hat Zeit genug, aber sie muss ja immer besonders früh los, weil sie noch vor der Schule mit ihren Freundinnen was wichtiges besprechen muss (sie chatten am Handy) und wer zu spät kommt ist „out“.

 

Egal, wie früh ich wecke, es ist trotzdem immer zu spät. Zum Einen, weil ihr Hörnerv vermutlich im Standbybetrieb ist und erst ab dem dritten Weckruf sich reloaded, zum Anderen, weil sie morgens nach einer langen friedlichen Nacht, sich ausmeckern muss. Jaha, so ist das in der Pubertät! Da hat man noch GEFÜHLE, da muss es morgens LAUT sein und man redet nur in GROSSBUCHSTABEN!!

 

Sie stürmt also wie eine Bekloppte ins Bad, dann hört man lange nichts. Stille. Keine Ahnung, was sie dann macht, aber es dauert, bis endlich mal Wasser rauscht. Vielleicht bewundert sie sich erst einmal und schaut, ob Madame noch genau so hübsch ist, wie gestern, vielleicht werden auch erst einmal ein paar Selfies gemacht, weil Whatsapp ja aktualisiert werden muss. Möglicherweise checkt sie aber auch erst ihre Nachrichten. Ohne Handy geht ja nichts.

 

Jedenfalls ist dann das Bad blockiert, weil ihre Haare gewaschen werden müssen. Sonst ist der Tag verloren!! Ich wünschte sehnlichst, auch die übrigen Stellen ihres Körpers würden in den Luxus einer Wäsche kommen, aber eine Ladung Parfüm tuts schließlich auch.

 

 Frisch gestylt und onduliert erscheint sie dann in der Küche. Kleidungstechnisch mittlerweile ein kleiner Fortschritt: die Farben tun nicht mehr so in den Augen weh, weil SCHWARZ die angesagte Farbe ist. Gern wird ihre Garderobe mit einigen MEINER Sachen aufgepeppt. Natürlich ohne Rückfrage, ich soll mal nicht so kleinlich sein, ist ja eine Familie! Ja, klar!

 

Und das, was bei mir wie eine zweite Wurstpelle als Shirt saß, sitzt bei ihr als lockeres Kleidchen um die Hüften. (Schade, dass man im Alter nur in der Größe schrumpft und nicht in der Breite. Meine Hüften sahen auch mal anders aus...)

 

Nun sitzt sie also am Tisch. Ich habe ein Großaufgebot an Marmeladen und Honig, biete WURST und KÄSE an – doch das Pubertier ernährt sich von Cornflakes und Milch. Die werden – mit stetem Blick aufs Handy – in sich reingeschaufelt. Schmatz, schmatz, schlürf, klecker.

 

Nach Beendigung der Mahlzeit wird nichts weggeräumt. Egal, wie oft ich das sage, es wird nicht erledigt. Das Äusserste ist, das Geschirr zumindest IN die Spüle zu stellen, egal, was sich noch auf dem Teller befindet. Direkt IN die Spülmaschine schafft sie nicht. Ich soll mal nicht so nerven, warum ich morgens schon so schlecht gelaunt wäre? Ist eine typische Frage, wenn ich höflich darum bitte, doch das benutzte Geschirr dahin zu stellen, wo es hin gehört. In die Spülmaschine. Das kann doch nicht so schwer sein.

 

Dann sitzt sie schweigend da. Sie hat ja noch Zeit. Keine Zeit, noch irgend etwas kreatives wie Aufräumen, Zähneputzen oder sich das Schulbrot selbst zu machen. Aber Zeit, um bei Whatsapp die Nachrichten zu checken.

 

Wobei – WER schreibt um diese Zeit? Haben die anderen Kinder zu Hause auch Personal?!

 

Derweil mein Herr Sohn. Trotz Licht und Frischluft schläft er. Ein Murmeltier ist dagegen putzmunter! Er schläft und schnorchelt im Tiefschlaf. Auch nach 12 Stunden Schlaf nur sehr schwer wach zu bekommen. Es ist ihm auch wurscht, ob er zu spät zur Schule kommt. Dann kann er vielleicht sogar ganz zu Hause bleiben, also wozu die Eile. Erstmal pennen.

 

Kitzeln bringt null, außer ein Grunzen.

 

Decke wegziehen ist auch egal. Der Wecker hat zwar geläutet, liegt aber mittlerweile beleidigt in einer Ecke, wo er vom Chef des Hauses hingeworfen wurde. Der dann aber sofort weiterschläft.

 

Ich räume um ihn herum, sortiere ein paar Bücher und Zettel, werfe einen Blick in die Schultasche und sage in regelmäßigen Abständen, dass er doch jetzt endlich AUFSTEHEN soll, sonst kommt er zu spät und die Kinder würden schon an der Straße stehen und heute wäre ein wichtiger Tag und überhaupt.

 

 Mein eigenes Gerede schläfert mich in seiner Monotonie selbst ein.

 

Ich frage mich, warum dieser Stress? Jeden Morgen das gleiche Theater – sie spricht in Großbuchstaben, verbreitet Hektik und Stress und er ist nicht wachzukriegen.

 

Wenn er dann endlich, ENDLICH mal aufgestanden ist, schlurft er müde an den Frühstückstisch. Erst essen, sonst läuft schon mal gar nichts. Sein Frühstück steht parat und wird gegessen. Manchmal beschwert er sich, weil ich seine Gedanken nicht erraten habe und er statt eines Brötchens lieber Müsli oder eine Brezel möchte. Dann diskutiert er lange herum, warum wieso weshalb. Währenddessen läuft die Zeit.

 

 Und während ich durchs Fenster sehen kann, dass die ersten Kinder bereits mit Schultasche aus der Haustüre kommen, sitzt die Pennnudel noch gemütlich am Tisch, gähnt und schlurft in Zeitlupe zum Klo.

 

 Dann beginnt der eigentliche Stress – wir erinnern uns? Madame ist ja auch noch da! Sobald ihr Bruder am Tisch erscheint, fährt sie ihre Krallen aus. Alles wird kritisiert: wie er sie ansieht, wie er aussieht, wie er isst und was er isst, blabla mecker zick.

 

Ihr Zukünftiger tut mir jetzt schon leid! So eine Zicke morgens, da ist man froh, wenn man ins Büro darf.

 

Zum Glück ist mein Sohn morgens noch ziemlich entspannt. Wo er sonst verbal in nichts zurückgelegen hätte, spart er sich morgens den Kommentar. Da hat seine Schläfrigkeit durchaus einen Vorteil. Sonst wäre der schönste Streit am Gange.

 

Allerdings endet diese Beschaulichkeit, sobald er ins Bad möchte. Obwohl sie ja praktisch Zeit genug hatte und weiß, er MUSS sich jetzt sehr beeilen, will SIE jetzt unbedingt auch ins Bad. Weil SIE muss ja schon längst los und er ärgert nur und blockiert. Tja, in der Pubertät hat mans nicht so mit der Realität, da werden die Tatsachen gern mal verdreht. Sie folgt ihm also ins Bad und dann geht’s los:

 

Natürlich würde sie gern ihre Zähne putzen, aber nicht mit Zuschauern. Auch will sie ihrem Bruder nicht zusehen müssen, wie er sich anzieht. Er wiederum will nicht, dass sie ihn beim Anziehen stört, ihr Parfüm (oder sie) müffelt und dann hat sie ihn noch vom Waschbecken weggeschubst! Randale im Bad! Ein Geschrei, man hört es bestimmt drei Häuser weit. Keiner will nachgeben, ich muss als Schiedsrichter in den Kampf eingreifen und bin dann die blöde Mama, die sowieso parteiisch ist (darin sind sie sich schon mal einig!). Außerdem was ICH denn jetzt auch noch im Bad zu suchen hätte – Madame schwirrt beleidigt ab, hinterlässt eine Spur von runtergefallenen Handtüchern, zerknüllter Kleidung und einem durcheinander gewirbeltem Schuhregal. Mein Sohn ist halbangezogen im Bad, hat schlechte Laune und sagt der blöden Mama, dass er in die blöde Schule nicht will, weil er nur wegen seiner blöden Schwester jetzt zu spät kommt und daran sind wir alle Schuld! Wir sind schuld, wenn er jetzt also Ärger mit der Lehrerin bekommt, schlechte Noten, sitzenbleibt und dann bei RTL ins Dschungelcamp muss. So, was ich denn dazu sagen würde?

 

Ich sage eigentlich gar nichts. Ich helfe ihm schnell, fertig zu werden, packe das Schulbrot, ein vergessenes Heft und das Trinken ein. Stopfe ihn in seine Jacke, kämme ihn und binde die Schuhe zu. Dann wusel ich noch hin und her, weil heute ist Turnen, da fehlt die Turntasche und die Mütze ist falsch, es muss eine andere her und dann ist er los. Er kommt gerade noch rechtzeitig zu seiner morgendlichen Schulweggruppe und ich stehe am Fenster und winke.

 

Ich winke natürlich nur zur Tarnung. In Wahrheit kontrolliere ich, ob beide auch wirklich unterwegs sind und NICHT zurückkommen.

 

Dann fange ich laaangsam an, das Chaos zu Hause zu beseitigen.

 

 Okay... Das ist also die Schule.

 

 In den Ferien entfällt ja nun dieses schöne morgendliche Ritual (und wenn meine Mutter das hier liest: Natürlich lege ich abends schon alles für den nächsten Schultag zurecht. Harhar, ich bin auch gut vorbereitet! Aber wenn morgens ein Wirbelsturm und eine Schlaftablette zusammen treffen, dann nützt die beste Vorbereitung nichts!!)

 

Ich war als Kind auch viel pflegeleichter. Das waren die 70er. Da war man gechillt :-)