Hamlet und Laertes

 

 

Einmal wieder ins Theater. Kultur schnuppern. Mal raus aus dem täglichen Einerlei.

 

Karten telefonisch bestellt, das erste Chaos schon am Telefon: Wo sitze ich am besten? Ich wollte gern vor der Bühne, damit ich auch gut sehen kann. "Mmmmmh nein, da doch lieber nicht. Da bekommen Sie einen steifen Hals wie im Kino im Parkett", teilte mir ein Mitarbeiter des Ticketservice mit. Tatsächlich? Sitzt man da mit starrem Blick nach oben? Wenn nicht dort, wo denn dann? Oben im Rang? Aber ich bin nicht schwindelfrei?! Der Mitarbeiter empfahl einen Platz irgendwo in Reihe 5 bis 7. Oder Reihe 3, das sei auch noch sehr weit vorn. Nach 20minütigem hin und her bleibt es dabei, ich sitze schön vorn Reihe 1. Fertig.

 

Zum Glück! Nach Ewigkeiten betrete ich wieder das Stadttheater und bin erleichtert: nichts mit starr nach oben schauen - Reihe 1 ist nicht nur mittendrin, sondern live dabei. Direkt an der Bühne, aber so, dass man sehr gut sehen kann, aber sich nicht den Hals verrenken muss.

 

Das Theater an sich ist wunderschön! Da verdient eine Vorstellung auch den Namen "Theater". Unten Sitzreihen und dann den ersten, zweiten und dritten Rang inklusive Seitenränge und Logen. Es muss für einen Schauspieler ein Vergnügen sein, seine Texte zu rezitieren, ohne dabei nur auf eine Reihe gefüllter Stuhlreihen im Parkett zu schauen, wie sie heutzutage in Bürgersälen und ähnlichen Veranstaltungsorten zu finden sind. Wo Theater eher dort stattfindet, wo sonst auch Rassegeflügel und Auktionen präsentiert werden und wo in den Vielseitigkeitsräumen gestern noch eine Blaskapelle spielte und morgen schon die "Chippendales" auftreten. Dazwischen dann eine Scheibe Kultur. Na servus.

 

Hier also ein schönes altes Theater, wo man gespannt auf die Vorstellung wartet. Bequeme Stühle, gute Sicht von allen Plätzen (ich hab mal ein bisschen "Probegesessen") und eine tolle Atmosphäre.

 

Ich saß als "Neuling" zwischen "trainierten" Theaterbesuchern.

 

Kleidungstechnisch brach bei mir zu Hause vorab das Chaos aus: WAS ZIEHE ICH AN? Lang? Kurz? Schwarz? Jeans? Egal??

Tagelanges Kopfzerbrechen. Dann schwarzes Kostümchen mit blauen Schuhen (ein bisserl was geht immer). Im Theater angekommen, stellte ich schnell fest, dass ich damit fast schon zu elegant war. Die Herren im Anzug (aber nicht dunkel), Krawatte teilweise und die Damen so, als seien sie auf einem Sommerfest geladen; Hose und Bluse, auch mal einen Rock, aber alles im Rahmen. Die einzigen Damen in schwarz waren die Damen von den Garderoben.

 

Nach anfänglicher Sondierung und dem HInweis, dass man mit insgesamt 3 Stunden und 15 Minuten rechnen muss, es aber nach 1.40 Stunde eine (Pipi-)Pause geben würde, gings zu den Sitzplätzen.

 

Gegeben wurde "Hamlet" von Shakespeare. Und das vom "Neuen Globe Theater" aus Potsdam.

 

Ich dachte, warum nicht mal was klassisches? Und da ich bislang nur gutes gehört und gesehen hatte, von eben dieser Schauspielervereinigung, habe ich mich für die Trägodie Hamlet entschieden.

 

Erst einmal ein großes Kompliment an die Schauspieler: WAHNSINN! Gerade für so einen Theaterneuling wie mich war es sehr entspannend, dass sie es locker angehen ließen. Die siebenköpfige Gruppe ging - schon in Kostüm - durch die Reihen der Zuschauer, bereits im Foyer - und verkaufte Programmhefte. Abgesehen davon, dass das Heft auch noch sehr spannend war, weil es sich nicht nur mit der Geschichte Hamlets auseinandersetzte, sondern zudem noch die Arbeit der Schauspieler bei der Textfindung und Einstudierung in Wort und Bild nebst kurzer Vorstellung der Darsteller zeigte, gab es so auch einen ersten persönlichen Kontakt zu ihnen.

 

Das Stück begann spontan: die Beleuchtung im Publikum blieb an, so dass nicht nur die Zuschauer die Darsteller auf der Bühne sehen konnten, sondern auch die Darsteller einen guten Überblick über alle Zuschauer hatten. Es schaffte eine sehr persönliche Atmosphäre - auch untereinander. Unglaublich, was so kleine Dinge wie Lichtverhältnisse ausmachen können.

 

Das Bühnenbild war sehr spartanisch und bestand im Wesentlichen aus Podesten, davon ein hohes mit Fell überzogen, und einigen wenigen Requisiten. Die Kostüme waren teilweise der Ursprungszeit des Stückes angeglichen, als auch modern. Aber die wenigen Dinge reichten aus, um das Stück glaubwürdig darzustellen.

 

Witzig war der Anfang, als die Darsteller sich auf der Bühne umzogen und man so manchen (unfreiwilligen?) Einblick bekam. Auch der Zigarettengenuss auf der Bühne hat sicherlich der Feuerwehr ein paar spannende Momente (man beachte das Fell!) beschert.

 

In der Geschichte Hamlets geht es darum, dass der junge Hamlet nach dem Tode des Vaters aus Wittenberg an den Hof nach Helsingör in Dänemark geholt wird, wo er nicht nur der Beerdigung des Vaters, sondern auch der Neuvermählung seiner Mutter Gertrud mit seinem Onkel Claudius, dem jüngeren Bruder von Hamlets Vater,  beiwohnen soll. Hamlet, tief getroffen von der neuen Heirat seiner Mutter, verschließt seine Gefühle. Nur sein bester Freund Horatio vermag es, ihn aus der Reserve zu locken.

Als Hamlet der Geist seines Vaters erscheint und ihn davon in Kenntnis setzt, dass der Tod nicht durch einen Schlangenbiss erfolgte, sondern das vielmehr der Onkel den Vater vergiftete, um Hof und Krone und die Schwägerin an sich zu binden, erstarrt Hamlet förmlich. Sein Vater fordert Rache und Hamlet verspricht dieses zu tun.

Dazu gibt es eine unglückliche Liebesgeschichte zwischen Hamlet und Ophelia, der Tochter des Statthalters Polonius, sowie eine Auseinandersetzung mit dem Bruder Ophelias, Laertes.

Nachdem Hamlet im Wahn Polonius erschießt und dessen Tochter ihrerseits dem Wahnsinn verfällt und im See ertrinkt, schwört Laertes Rache und fordert Genugtuung.

König Claudius nutzt die Wut Laertes, um Hamlet endgültig auszuschalten. Es soll zu einem Schwerterkampf kommen, bei dem Laertes seinerseits sein Schwert mit Gift beträufelt und andererseits König Claudius einen Kelch mit Wein vergiftet. Unglückliche Umstände sorgen dafür, dass Königin Gertrud den für Hamlet bestimmten Trank zu sich nimmt und stirbt. Hamlet selbst wird durch das Schwert Laertes vergiftet und tötet nach einem Schwertertausch Laertes, der durch das Gift seines eigenen Schwertes nun ebenfalls verstirbt. Noch im Todeskampf weist er Hamlet darauf hin, dass der König Verursacher der Anschläge ist und mit letzter Kraft tötet Hamlet nun seinerseits den König.

Horatio, als bester Freund (und mehr?) will Hamlet im Tode folgen, wird aber von Hamlet daran gehindert, mit der Bitte, die Geschichte kund zu tun, was Horatio verspricht.

Das Stück beginnt mit der Frage Horatios: "Wer da?" und endet genau mit selbiger. Die Antwort darauf lautet: "Die Schauspieler".

 

Zusammenfassend muss ich sagen, dass mich das Stück von der ersten Spielminute an gefesselt hat. Allen voran der Darsteller des Hamlet, Saro Emirze, der den Hamlet in seiner Darstellung förmlich "lebt" und sowohl die Unsicherheit in seinem Wesen, als auch den Wahnsinn dem Zuschauer in einer Eindringlichkeit verdeutlicht, dass man gar nicht anders kann, als mit ihm mitzuleiden.

Drei Stunden Shakespeare sind schon eine Ansage und ich war nicht sicher, ob man es schafft, sich wirklich so lange zu konzentrieren. Aber die Schauspieler verdienen ihren Namen zu recht und überzeugen mit einer unglaublichen Spielfreude. Scheinbar spontane Zwischenbemerkungen und ein Wechsel von Gefühlen zieht den Zuschauer in den Bann. Die Aufarbeitung der Texte mit teilweise modernen Zügen ist genial. So wird das doch eher schwere Stück (ich habs vorher gelesen) auch für Ungeübte verständlich.

 

Schauspieler, die in ihren Rollen (ich muss es einfach erwähnen) echte Tränen weinen können, ohne dass es lächerlich oder aufgesetzt wirkt, sondern dass man selbst in der Emotion gefangen ist, verdienen ihren Titel zu recht und man erlebt bei dieser Schauspielergruppe wirklich Könner ihres Fachs.

 

Auch das es ein "Stück im Stück" gibt, in dem eine Gruppe von Schauspielern an den Hof in Helsingör eilt, um Hamlet aus seiner Lethargie zu reissen, und unter anderem einen kurzen Auszug aus "Romeo und Julia" gibt, und zwar so, dass man sofort IN der Handlung drin ist und durch Hamlet selbst darin unterbrochen wird, ist eine weitere sehr gelungene Idee der Regie gewesen.. So wechseln traurige und humorvolle Szenen einander ab. Die Schaupieler selbst haben mehrere Rollen, in die sie schlüpfen müssen und tun dies mit einer Nonchalance, dass es im Stück harmoniert.

 

Besonders die Schwertkämpfe waren beeindruckend. Da saß man in der ersten Reihe schon ein wenig mit dem Gedanken da, was passiert, wenn einer im Eifer des Gefechts von der Bühne fällt?

 

Aber alles ging gut. Es war eine wirklich von Anfang bis Ende hundertprozentig beeindruckende Leistung.

 

Das besondere am "Neuen Globe Theater" ist zudem, dass die Frauenrollen - im Stile Shakespeares, wo Frauen keine Rollen übernehmen durften - ebenfalls von Herren besetzt werden.

Ich habe vorab in einer Kritik gelesen, dass man dem Schauspieler Andreas Erfurth - als Königin Gertrud - ihre Rolle nur schwer abnimmt, weil der Bart doch sehr stört. Das kann ich absolut nicht bestätigen - im Gegenteil: Herr Erfuhrt spielte Gertrud mit einem Charme und einer Attitüde, allein die zierlichen Schritte auf den Highheels und die elegante Art, so überzeugend, dass der Bart gar nicht beachtenswert war.

Auch Christoph Schulenberger, der die Rolle erstmals von einem Kollegen übernommen hatte , und der von der Größe her sehr männlich wirken müsste, überzeugte sehr in seiner Darstellung der Ophelia.

 

Alles in allem war es ein unglaublich schönes Theatererlebnis und ein DANKE an die Darsteller und Dank an das Stadttheater Minden, die immer wieder Produktionen dieser Schauspielvereinigung einkaufen, damit Minden Anziehungspunkt für Theaterbegeisterte bleibt.

 

Ich weiss nicht, was man noch mehr an Werbung hätte machen können, denn Stücke dieser Art dürften gar keinen Restkartenverkauf mehr haben, weil sie einfach so gut sind, dass allein bei der Ausschreibung schon die Karten vergriffen sein müssten.

 

Denn sie zeigen auf jeden Fall, dass auch in der heutigen Zeit so ein altes Stück durchaus seine Berechtigung hat und so spielbar ist, dass es sich hinter neuzeitlichen Inszenierungen nicht verstecken muss.

Gern hätte ich noch eine Vorstellung gesehen und warte nun gespannt auf das nächste Jahr, wo hoffentlich "Die Räuber" und "König Lear" aufgeführt werden sollen.

 

 

Das Drumherum war auch sehr angenehm: freundliche Damen an der Garderobe, die Waschräume sehr sauber und gepflegt. Ein gutes Angebot der Gastronomie in den Pausen. Viele nette Leute im Publikum kennengelernt (man sieht, Kultur verbindet) und ein so schönes Theater, mit gemütlichen Sitzgelegenheiten und einer stilvollen eleganten Atmosphäre, dass man die Pausenzeiten zum Flanieren und Entspannen nutzen kann.

 

Einziges Manko war für mich, dass nach der Vorstellung wirklich schnell geräumt wurde. Im Prospekt hatte ich ja gelesen, dass man nach der Vorstellung noch im Theatercafé etwas trinken könnte. Das war hier nicht möglich, sondern man wurde schon sehr beobachtet, dass man auch schnell seine sieben Sachen zusammensucht und geht. Das mag der späten Uhrzeit geschuldet sein; so ist die Tiefgarage, als nächste Parkmöglichkeit, auch nur bis Mitternacht geöffnet gewesen und wenn die Vorstellung allein schon bis 23.25 Uhr geht, dann macht das Sinn. Trotzdem schade. Mir war nach dem tollen Erlebnis sehr nach etwas zu Trinken und ein wenig Plauderei über die gelungene Vorstellung. Aber - "Burger King" hatte noch auf und ein kleines amerikanisches Dinner ist ja auch mal nett.

 

Alles in allem ein zauberhafter Theaterabend, der von einer sehr guten Besetzung und einer gut durchdachten Inszenierung geprägt wurde.

 

Warum habe ich eigentlich Laertes erwähnt? Tja, alle diejenigen, die mein BUCH gelesen haben, werden vielleicht eine Idee dazu haben. Den anderen sei gesagt: "Der Rest ist Schweigen".

 

 http://www.neuesglobetheater.de/

www.stadttheater-minden.de